13.10.22

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Interview mit Anja

UNFUCK THE HANDWERK
STIMMEN AUS DEM HANDWERK | Interview mit Anja Nallinger

Meine Ausbildung war ein Kampf!


Anja ist gelernte Tischlerin. Nach ihrer Ausbildung hat sie die Männerdomäne weitgehend hinter sich gelassen und arbeitet heute als Handwerkerin bei einem sozialen Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Sie erzählt von ihren Ausbildungsjahren im Tischlereihandwerk und warum es zu verlassen, die beste Entscheidung ihres Lebens war.


Wir fangen locker und assoziativ an:  Stell dir vor, das Schreinerhandwerk wäre ein Tier. Welches wäre es?

Eigentlich ist es ganz typisch, das reine Schreinerhandwerk ist der Biber. Weil der ist sehr schlau im Umgang mit Holz: Wie er etwas baut, wie er Dinge miteinander verbindet in der Natur. Aber wenn ich an den Schreiner – den männlichen Schreiner an sich, der seine Werkstatt führt – denke, ist das der Dachs. Beide sind Einzelgänger, grantige Eigenbrötler, bisschen muffig, nicht unbedingt offen für andere und leben in ihrer eigenen Welt. Sehr ernst und zurückgezogen.

Du gehörst als Frau im Tischlereihandwerk mit etwa 13 Prozent einer Minderheit an. Was hat dich ursprünglich dazu bewegt, diesen Beruf zu wählen?

Ich war immer schon handwerklich fit und habe gewusst, ich will irgendwas im Handwerk machen. Ursprünglich hab ich die Ausbildung zur Zahntechnikerin gemacht, aber das war nichts für mich. Meine Mutter hat immer schon alte Möbel restauriert und als Jugendliche habe ihr immer bisschen dabei geholfen. In der Zeit hab ich Möbel vom Sperrmüll geholt und die aufgearbeitet und dann wieder verkauft oder verschenkt. Nach der Ausbildung zur Zahntechnikerin hab ich dann mein Abi nachgeholt und ein Praktikum in einer Schreinerei angefangen, wo mir danach ein Ausbildungsplatz angeboten wurde. Ich bin damals in meinem Umfeld sehr oft gefragt worden, wie ich das als Frau machen kann.

Gab es für dich einen Unterschied in den Ausbildungen zur Zahntechnikerin und zur Tischlerin?

Ja, auf jeden Fall. In dem Betrieb zur Zahntechnikerin waren wir mehr Frauen als Männer. Ich glaube es waren 60 Prozent Frauen. Dort wurde ich nie gefragt, wie ich das schaffen kann. Zahntechnikerin ist was sehr Feines, was sehr Filigranes. Es ist nicht grob, man muss nicht schwer heben und das ist im Tischlereihandwerk anders. Da werden Frauen eher mal eingestellt, weil sie so zarte Hände haben. Um mal „was Feines“ aus dem Holz zu machen.

Wie hast du deine Zeit als Auszubildende im Tischlereihandwerk erlebt?

Es war sehr, sehr männerdominiert. Ich habe in einem Betrieb meine Ausbildung gemacht, in dem es vier Männer gab die alle über 50 Jahre alt waren. Ich stand unter dem ständigen Druck, als Frau mehr auf die Probe gestellt zu werden. Quasi nach der Logik: Du willst einen Männerjob machen? Dann zeig auch, dass du das kannst. Du wirst viel mehr getestet als Männer. Und das hat sich über die ganzen Ausbildungsjahre gezogen. Das war bei den anderen Frauen in meiner Berufsschule auch so. 

Haben Frauen dann höhere Chancen am Jobmarkt? Eine Art Street Credit für die härtere Ausbildung?

Ne, das glaube ich nicht. Es ist ja so, dass die meisten Frauen gar nicht im Job bleiben. Viele studieren danach oder brechen ab. Ich hab’ danach auch nicht weitergemacht. Weil meine Ausbildung war ein Kampf für mich. Nach zwei Jahren hätte ich fast abgebrochen. Es war furchtbar mit meinem Vorgesetzten und furchtbar mit den anderen Männern. Weil ich überhaupt nicht klargekommen bin mit dieser Männerdomäne – die aber auch nicht mit mir als Frau, die ihre eigene Meinung hat. 

Kannst du von einer konkreten Situation erzählen?

Bei der Gesellenprüfung kann man sich ein Möbelstück ausdenken und das dann bauen. Normalerweise kriegst du vom Betrieb eine finanzielle aber auch eine praktische Hilfestellung. Das hab ich damals nicht bekommen. Das war für mich sehr schwierig. Ich saß morgens an der Bettkante und hab drei Mal überlegt, ob ich zur Arbeit gehe oder nicht. Ich war einfach durch und es war schlimm zu ertragen, dass ich nicht so anerkannt war, wie mein Kollege.
Ich hab dann die Zähne zusammengebissen und wollte die Ausbildung in der Tasche haben und hab durchgezogen. Es war sehr schwierig, weil ich überhaupt keine Hilfestellung hatte. Nur weil ich nicht über jeden sexistischen Witz gelacht hab oder auch mal gesagt habe, dass ich so nicht behandelt werden möchte. Nach meinem Abschluss hat mein Chef zu mir gesagt, er würde nie wieder eine Frau einstellen. 

Wie war das Verhältnis zu deinen Ausbildungskollegen?

Mit den Kollegen war das genau dasselbe. Ich weiß noch, das war mega bedrückend. Diese Stimmung da drin, das war furchtbar. Morgens um sieben standen alle in der Werkstatt am Arbeitsplatz, keiner hat gesprochen und als der Chef reinkam, war der Chef König. Ich wurde immer übergangen und musste die ersten Monate nur Kaffee kochen. Das war nicht nur bei mir so, das passiert Frauen oft im Handwerk. Dass du in der Werkstatt Kaffee kochen und fegen kannst. Mittlerweile kann ich darüber lachen, aber es ist wirklich furchtbar und hat sich nicht groß geändert bis jetzt. 

Die Handwerkskammer adressiert mittlerweile das Problem der niedrigen Frauenquote im technischen Handwerk, allerdings wir die Schuldfrage auf die Frauen verlagert. Frauen wären nicht mutig genug oder seien auch erst seit kurzem gleich qualifiziert wie ihre männlichen Kollegen. Was sagst du dazu?

Ja, auf jeden Fall. Die Aufmachung, die Werbung ist schon anders geworden. Es werden mehr Frauen in Werbungen abgebildet, die ein Handwerk ausüben, vor allem bei der Handwerkskammer. Aber an der Basis selbst ist das noch lange nicht angekommen. Es gibt noch so viele Handwerksautos, auf denen Frauen in abwertender, sexistischer Art abgebildet werden. Da sieht man, dass „Frauen im Handwerk“ bei vielen noch „sex sells“ bedeutet. Das braucht noch viel Arbeit. Zum Beispiel auf Baustellen: Wenn ich damals als Frau mit auf die Baustelle gekommen bin, hab ich gleich 25 Blicke kassiert und mein männlicher Kollege wurde gefragt ob er seine Tochter mitgebracht hätte. 

Wie ist es nach deiner Ausbildung bei dir weitergegangen? Wie hast du den Berufseinstieg und Berufsalltag erlebt? 

Ich hab nach der Ausbildung nur noch ein halbes Jahr in einer anderen Werkstatt gearbeitet und hab danach in Bonn an der Oper gearbeitet als Bühnenbauerin. Da war alles sehr durchmischt, viele Handwerksspaten, viele Künstler und Künstlerinnen. Ich bin bewusst da weg und ich bin aus dem Grund da weg, weil ich nicht in einer reinen Männerdomäne arbeiten wollte. Ich bin dann eher in einen sozialen Bereich gegangen und merke: Das war die beste Entscheidung meines Lebens. Viele Schreinereien wollen gar keine Frauen da haben. Und das merkt man.
Auch heute muss ich mich auf der Arbeit immer mehr behaupten, immer mehr zeigen als mein männlicher Kollege. Als ich gehört habe, dass mein männlicher Kollege, der kürzer da arbeitet als ich und weniger Stunden macht, mehr ausbezahlt bekommt, bin ich direkt zur Chefetage gegangen. Er ist immer ein Kampf. 

Du lebst in einer Partnerschaft mit einer Frau. Wie offen ist das Handwerk für Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen?

Gar nicht offen. Es ist schwierig, es gibt wenig bis kaum Akzeptanz. 

Die Frauenquote im Handwerk ist seit den 1990er Jahren unverändert niedrig und auch FLINTA* oder People of Color findet man dort kaum: Was muss sich aus deiner Sicht ändern, damit das Handwerk ein sicherer Arbeitsplatz für alle wird?

Es ist vor allem ein Generationsproblem. Die Generation vor uns und die davor führen diese Handwerksbetriebe und die haben diese Geschlechterrollen mit gegründet. Diese Geschlechterrollen darf es nicht mehr geben und es müssen neue, junge Leute nachkommen. Aber selbst außerhalb des Handwerks sind wir noch weit davon entfernt. Wie soll etwas, das selbst in meinem Freundeskreis manchmal noch schwierig ist, dann bei älteren Herren vor unserer Generation funktionieren? Im ländlichen Bereich ist es ja oft noch schlimmer als in der Stadt. In Köln zum Beispiel wird schon jeder dritte Ausbildungsplatz von einer Frau belegt. Je weiter ländlich man schaut, desto schlimmer wird es – wie bei vielen anderen gesellschaftlichen Themen auch. 

Weil es so schwierig ist für sie, sehe ich auch keine Frauen im Handwerk. Ich habe beruflich mit so vielen Handwerkern zu tun und das sind immer nur Männer. Dabei müssten Frauen jetzt ihren Platz einfordern. Wo sind die Frauen?